Warum Selbsthilfegruppe

Weshalb gibt es eigentlich Selbsthilfegruppen? Was genau sollen die bringen? Wie unterscheiden sie sich beispielsweise von Therapien?

 

Für Ungeduldige und „Ungern-längere-Texte-Leser“ hier vorab eine kleine Zusammenfassung ;-) …

 

Im Idealfall ermöglicht eine Selbsthilfegruppe es:

  • Eigene Erfahrungen mit anderen Betroffenen auszutauschen
  • Meinungen, Tipps, Ratschläge und Unterstützung zu bekommen
  • Kontakte zu knüpfen
  • Sorgen und Ängste offen auszusprechen
  • Nicht alleine zu sein
  • Den eigenen Horizont zu erweitern :)

Was kann eine Selbsthilfegruppe?

Um vorab Fehlvorstellungen vorzubeugen, nein, wir suhlen uns hier nicht gemeinsam in Selbstmitleid oder versuchen etwa, uns gegenseitig in unseren Leidensgeschichten zu überbieten. Wer es übersehen haben sollte, es heißt SelbstHILFEgruppe, deswegen bin ich manchmal erstaunt, welch merkwürdige Vorstellungen bei manch einem doch vorherrschen ;-)

 

Also nun dazu, worum es hier eigentlich gehen soll und was eine Selbsthilfegruppe bieten kann. So pauschal lässt sich das übrigens gar nicht sagen, da die einzelnen Mitglieder einer Selbsthilfegruppe in der Regel nicht alle mit der selben Intention kommen. Für manch einen mag der Besuch einer Selbsthilfegruppe eine gute Ergänzung zur Therapie sein, für einen anderen eine Stütze beim Wiedereinstieg in den Alltag nach einem Klinikaufenthalt oder  aber einfach eine Möglichkeit, sich mal mit anderen Betroffenen auszutauschen. Wie man die Gruppe für sich nutzen möchte, ist also ganz dem Einzelnen überlassen.

 

Grundsätzlich macht es eine Selbsthilfegruppe aber aus, dass man — beispielsweise im Gegensatz zur Therapie — nicht einem professionellen Menschen gegenübersitzt, der das studiert, über die Erkrankung gelesen und die entsprechenden Symptome auswendig gelernt hat, sondern Menschen, die die Krankheit selber erlebt haben. Das ermöglicht den Austausch, sei es über persönliche Erfahrungen mit Medikamente, deren Nebenwirkungen, Klinikerfahrungen, Therapien, oder auch über alltägliche Dinge, auf die die Erkrankung sich auswirkt, wie beispielsweise Partnerschaft, Familie, soziale Kontakte, Hobbies usw. Es gibt quasi kein Thema, was nicht angesprochen werden darf ;-)

Auch ernstere Themen können thematisiert werden wie zum Beispiel Suizidgedanken. Hier kann es Erleichterung bringen, seine Gedanken offen auszusprechen, ohne etwa Angehörige oder Freunde damit zu überfordern und belasten, wie es bei dem Thema leider häufig der Fall ist.

Lachen, Weinen, Horizont erweitern

Anders als man vielleicht denken würde, geht es bei uns in der Gruppe aber nicht immer nur ernst und traurig zu. Auch wenn es gut tun kann, Gefühle in Form von Tränen herauszulassen und sich hier keiner seiner Emotionen schämen muss, können wir genau so gut gemeinsam lachen und herumblödeln. Ich bin mir sicher, dass die meisten uns nicht für eine Depri-Gruppe halten, wenn sie uns beispielsweise bei einem unserer gemeinsamen Ausflüge über den Weg laufen ;-) 

 

Es ist wohl naheliegend, dass diese Form des Austauschs und auch die Möglichkeit, an gemeinsamen Unternehmungen teilzunehmen, es erleichtern, neue Kontakte zu knüpfen. Insbesondere uns Depris fällt es ja manchmal schwer, sich aufzuraffen, Kontakte zu pflegen oder gar fremde Menschen anzusprechen. Hier hat man also ein Umfeld, indem das deutlich leichter ist und das „Kennenlernen“ und „Kontakt halten“ in der Regel ganz automatisch von statten geht.

Dabei können sich Freundschaften entwickeln, oder auch unverbindlichere Bekanntschaften, alles ist okay. Wenn hier jemand seine große Liebe findet, sei ihm das natürlich auch gegönnt :P

 

Dabei ticken natürlich nie alle gleich und gerade das macht die Gruppe interessant. Man muss die Erfahrungen und Meinungen der anderen nicht immer teilen, aber dennoch kann es bereichernd sein, sich andere Sichtweisen anzuhören und so den eigenen Horizont zu erweitern. Toleranz ist dabei natürlich oberstes Gebot. Nur als kleines Beispiel: Der eine mag froh sein, dass er nach vielen Jahren von seinen Medikamenten losgekommen ist, Männer in weißen Kitteln meiden und die Pharmaindustrie für einen Haufen geldgeiler Kapitalistenschweine halten, während ein anderer auf seine täglichen „happy pills“ (den Namen habe ich meinen Antidepressiva gegeben, damit es ein wenig netter klingt ;-)) schwören und bald alle Arztpraxen Freiburgs von innen kennen; zu einem „Bitchfight“ wird es hier trotzdem nicht kommen (jedenfalls habe ich bisher in meinen zwei Jahren in der Gruppe noch keinen erlebt :P). Gegen eine gepflegte Diskussion ist natürlich nichts einzuwenden, da wären wir wieder beim offenen Meinungsaustausch.

 

 

Abschließend sei noch gesagt, dass Selbsthilfegruppe nicht gleich Selbsthilfegruppe ist und es auch immer, wenn mehrere Menschen aufeinandertreffen, mal zu Reibungen kommen kann. Dennoch bietet eine solche Gruppe eine einzigartige Möglichkeit des regelmäßigen Austauschs mit anderen Betroffenen und kann so wertvoller Bestandteil des eigenen Heilungsprozesses bzw. auch der Akzeptanz und des Arrangements mit der eigenen Erkrankung werden.